In den Nachrichten kann man es hören, kann Bilder und Filmaufnahmen sehen. „Und wenn man genug hat, schaltet man den Fernseher aus“, sagt Sebastian Düvel. Die Menschen in der Ukraine haben auch genug. Genug von den Raketen, genug von der Angst und von der Ungewissheit. Genug vom Krieg. Doch einen „Aus-Knopf“ gibt es nicht. „Das Einzige, was wir den Menschen zeigen können, ist, dass sie nicht alleine sind“, meint Eyleen Jung. Sebastian Düvel und Eyleen Jung gehörten zu dem achtköpfigen Team, das den erneuten Hilfskonvoi aus dem Volmetal begleitete. Zum ersten Mal fuhr ein Teil der Gruppe in die Ukraine.
Die Hilfsbereitschaft war auch bei der vierten Spendenfahrt, die der Meinerzhagener Thomas Arens organisierte, groß. Mit vier 7,5-Tonnen-Lastwagen, beladen mit Hilfsgütern und Lebensmitteln, steuerte die Gruppe, diesmal bestehend aus Fred Menge, Michael Schröder, Eyleen Jung, Wolfgang Sikora, Thomas Arens, Sebastian Düvel, Dennis Eckes und Bernd Kayser, am vergangenen Wochenende wieder den Ort Baia Mare in Rumänien an. Zu einer dortigen Gemeinde bestehen seit dem Frühjahr enge Kontakte. Und seit dem Frühjahr kümmern sich die Mitglieder des Centrul Crestin iBelieve zum einen um den Weitertransport der Spenden in die Ukraine, unterhalten eine Kleiderkammer und helfen vor Ort den mehr als hundert Flüchtlingen, meist Frauen und Kinder, die hier wöchentlich ankommen. Viele Geflüchtete leben seit Monaten in den rumänischen Familien und werden von diesen mitversorgt. „Alleine wären sie nicht überlebensfähig“, so die ernüchternde Gewissheit. Die Unterstützung seitens des rumänischen Staates sei nur gering. Mittlerweile seien aber auch die Helfer an ihrem Limit, hat Thomas Arens bei seinem nunmehr vierten Besuch festgestellt. Aufhören ist jedoch keine Option. Der Krieg hört auch nicht auf.
„Wir haben auch erfahren, wie groß das Netzwerk der Gemeinde ist“, erzählt Thomas Arens von den Kontakten in die USA. Auch von dort erhalte die Gemeinde Unterstützung, beispielsweise durch die Anschaffung eines VW Busses für Hilfsfahrten. Auch Ärzte seien aus den USA schon nach Rumänien und dann weiter in die Ukraine gereist.
Die Lebensmittelspenden aus Meinerzhagen seien nach der Ankunft am Samstagabend in der folgenden Nacht von etwa 15 ukrainischen Frauen, die derzeit in Baia Mare leben, in Kartons umgepackt worden, die am nächsten Tag weiter in die Ukraine transportiert wurden. Eyleen Jung ist sicher: Auch die Frauen haben so das Gefühl, dass sie etwas tun können. Helfen können. „Die Frauen hatten sehr viel Redebedarf“, stellte sie fest. Sie habe Fotos gezeigt und auf Englisch – meist übersetzt von jüngeren ukrainischen Mädchen – erzählt bekommen, wie der Krieg ihre Wohnhäuser zerstört hat – und ihr Leben: „Eine Frau berichtete, dass sie erst im letzten Jahr mit ihrem Mann ein Haus in Saporischschja gebaut habe. Jetzt sei alles kaputt, es gibt keine Fenster mehr, keine Dachpfannen. Wenn der Krieg vorbei ist, sagte diese Frau, wolle sie zurückkehren und alles wieder aufbauen. Ich habe mich gefragt: ,Wie will sie das schaffen?‘“ Eine weitere Frau habe seit Juli nichts mehr von ihrem Mann gehört. Kein Lebenszeichen. „Was soll man da sagen?“, fragt Eyleen Jung, die zu der vierköpfigen Gruppe gehörte, die die rumänischen Helfer am nächsten Tag in die Ukraine begleitete.
„Ab der Grenze war es eine andere Welt“, sagt Wolfgang Sikora. Im Grenzgebiet sah die Gruppe auch Familien auf ihrem Weg raus aus dem Land, rein in eine weitere Ungewissheit, „manche mit nicht mehr als einer Plastiktüte in der Hand“. An den Checkpoints etwa 18-jährige Ukrainer mit Maschinengewehren: „Sie müssen aufpassen, dass kein männlicher Ukrainer versucht zu fliehen.“ Nach vier Monaten Dienst als Grenzposten – Ersatz für die Grundausbildung – wartet auch auf sie der Kriegsdienst. Jetzt freuten sich die Jugendlichen einfach nur über Schokolade, die ihnen geschenkt wurde.
In Rachiv in der Ukraine, etwa 100 Kilometer von Baia Mare entfernt, traf die Gruppe auf eine dortige Gemeinde. In einem Gemeinschaftshaus außerhalb des Ortes hatten die ukrainischen Helfer Geflüchtete versammelt, die sich in dem ländlichen Gebiet in Sicherheit wähnen – auch wenn hier die Bedingungen ebenfalls alles andere als gut sind. Vier Stunden pro Tag – länger gibt es keinen Strom. Und es gibt keine Lebensmittel. „Wir haben für Essen gebetet. Wir haben nichts mehr.“ Mit diesen Worten sei die Gruppe vom Pastor der Gemeinde empfangen worden, die daraufhin die Lebensmittelpakete verteilte. „Man wird schlagartig demütig“, sagt Wolfgang Sikora, der sich von den Eindrücken wie alle anderen überwältigt fühlte. Die Verständigung sei schwierig gewesen, „aber in den Augen der Menschen konnte man Dankbarkeit sehen. Aber auch, dass es manchen eher peinlich war, die Pakete anzunehmen.“ Scham für etwas, für das niemand etwas kann. Nicht in Rachiv und nicht in allen anderen Städten, in denen die Not mindestens ebenso groß ist. „Da kann man nur sagen, dass es Hilfe unter Menschen ist. Eine Form der Wertschätzung. Dass es ein Geschenk ist, das wir auf Augenhöhe überreichen, und dass es keine Almosen sind.“ Umso wichtiger war das Dankeschön: „Die Menschen haben nichts und wollten uns trotzdem noch Äpfel schenken.“ Sikora und die übrigen Helfer erlebten „eine Lebensrealität, die man so nicht kannte“, wie sie im Gespräch mit der MZ immer wieder deutlich machen.
Ein Paket mit Nahrungsmitteln – wie lange wird das reichen? Fragen, die die Gruppe auch Tage nach ihrer Rückkehr beschäftigen. Für alle ist klar, dass sie wieder hinfahren werden. „Ich habe das Gefühl, dass ich nächste Woche wieder dahin muss“, sagt Thomas Arens, wissend, dass sich ein erneuter Hilfstransport so kurzfristig wohl nicht organisieren lässt. Spätestens im Frühjahr werden er und seine Mitstreiter einen erneuten Transport durchführen – auch wenn alle wissen, dass die Hilfe gerade jetzt so nötig wie nie war und ist. „Jetzt kommt der Winter, die Temperaturen gehen runter. Jetzt geht es erst los“, glaubt daher nicht nur Michael Schröder, dass in den nächsten Wochen noch mehr Menschen ihr zerstörtes Zuhause verlassen werden und die Not größer werden wird: „Es ist nicht vorbei“, steht für die Gruppe aus dem Volmetal fest, und damit meint sie nicht nur die Hilfe, die sie leisten möchte.
Meinerzhagener Zeitung 26.11.2022 - Simone Benninghaus
Die Unterstützung
Folgende Unternehmen unterstützten den Hilfstransport für die Ukraine: CA Vending Krugmann, Busch & Müller, Technotrans, Otto Fuchs, MfA, Bender & Wirth. Auch der Lions Club Kierspe-Meinerzhagen leistete Hilfe.
Für die nächste Fahrt werden bereits jetzt Spenden auf dem Konto der katholischen Kirchengemeinde gesammelt. IBAN: DE 61 3606 0295 0016 9100 15, Stichwort „Ukraine-Spende“. Spendenquittungen werden ab 100 Euro ausgestellt.